Wachstum – das „Goldene Kalb“ der Moderne?

Theologischer Impuls zum Erntedankgespräch „Christen und SPD - 2011

Wachstum – das „Goldene Kalb“ der Moderne? Bei genauerer Betrachtung scheint der Wachstumswahn allerdings so alt wie die Menschheit selbst.

Das „Goldene Kalb“, von dem die Bibel im Buch Exodus erzählt, war auch nichts anderes als das Symbol unendlicher Fruchtbarkeit und nie endenden Wachstums.

Das Volk Israel hat diesen Wahn in der Sklaverei in Ägypten auf den eigenen Knochen abgekriegt, als die Treiber auf die Zwangsarbeiter eingedroschen haben, um mehr Produktivität zu erzielen.

Mit knapper Not diesem Elend entronnen, trifft das Flüchtlingsvölkchen beim Exodus auf die palästinensischen Stämme mit ihren Fruchtbarkeitsreligionen, in denen man die „Baale“ als Götter verehrte und ihnen Opfer brachte.

Später bekommt es Israel mit Babel zu tun, dem Zentrum wirtschaftlicher und politischer Macht, das sich alles unterwirft und das halbe Volk Israel ins Exil entführt.

Die römische Zwangsherrschaft nicht zu vergessen, die den ganzen Mittelmeerraum terrorisierte und Land und Leute ausquetschte bis aufs Blut.

Und nun kommen wir in einem riesigen Zeitsprung auch schon an in der sogenannten „Moderne“, wie sie altbackener nicht sein könnte: Im Turbo- und Casino-Kapitalismus von heute.

Mit einem Unterschied: Hier geht es nicht mehr nur um reales, sondern da genügt schon virtuelles Wachstum. Denn die Finanzwelt hat sich von der realen Wirtschaft längst losgerissen, treibt mit sich selber Handel, generiert Wachstum aus heißer Luft. Wenn das nicht ein echter Fortschritt ist...

Immer schon gerieten die Wachstumssysteme in Erklärungs- und Legitimationszwänge. Dann hüllte man sich gerne in die Aura religiöser Symbole. An der Seite der Gottheiten, so glaubte man, sei man sakrosankt und unangreifbar. Das älteste und bekannteste Symbol ist das „Goldene Kalb“, in Wirklichkeit der goldene Stier vom Sinai, den sich das Volk aus den Geschmeiden der Frauen gegossen hatte, während Mose sich auf dem Berg seinem Gott stellen uns ausliefern musste. Übrigens: Schon dass die Geschmeide der Frauen dran glauben mussten, verrät etwas Wesentliches: Die Schönheit, die Anmut, die „Geschmeidigkeit“ und Schönheit des Lebens gehen hops um des Wachstum willen. Dem muss alles Unproduktive untergeordnet werden. Doch dies nur am Rande.

Mit dem „Goldenen Stier“ wird unendliche Fruchtbarkeit symbolisiert. Denn dieses Tier hat keine andere Aufgabe als zu fressen und Nachkommenschaft zu zeugen, und dies nicht zu knapp! Und das tut es in geiler Gier. So maßlos wie die Spekulanten von heute in der Jagd nach Renditen und in der Erfindung neuer „Intelligenter Finanzprodukte“. Nicht umsonst ziert justament dieser Goldene Stier die Frankfurter Börse. Diese Symbolik erklärt eigentlich schon alles, man hat nichts zu verbergen!

Zwei „Alleinstellungsmerkmale“ - was für ein hübsches neudeutsches Wort – kennzeichnen Israel und grenzen es scharf ab von seiner Umgebung:

Das erste ist der „Ein-Gott-Glaube“. Statt anonymen Mächten ausgeliefert zu sein, verrät der jüdische Gott seinen, wenn auch rätselhaften Namen. Und schafft personale Beziehung. Er ist ein Gott, mit dem man reden und streiten kann.

Das zweite ist ein neues „Organisations-Modell“: „Wachstum“ wird durch „Gerechtigkeit“ ersetzt. Bei Jeremia ist Gerechtigkeit einer der Namen Gottes. Er ist verschmolzen mit Gerechtigkeit. Auf diesen Namen hört der Gott der Juden und der Christen, auf dieses Programm hin springt er an. Er möchte seine Gerechtigkeit widergespiegelt sehen in der Gerechtigkeit des Volkes.

Warum „Gerechtigkeit“ dermaßen zentrale Bedeutung erhält, hängt mit dem Ökonomie-Modell der Bibel zusammen. Es lautet: „Es ist genug für alle da...“ Immer wieder preisen die Psalmen die Fülle der Schöpfung, Öl und Wein und Korn, satte Herden auf den Weiden. Auch das „Leben in Fülle“, das Jesus verheißt, meint schon „gutes Leben“ in dieser irdischen Wirklichkeit.

Diese Ökonomie des „Genug“ ist an zwei Bedingungen geknüpft, damit sie wirklich zum Tragen kommt:

Die Reichtümer der Erde sind über Arbeit zu heben und zugänglich zu machen im Sinne des biblischen Auftrags, die Erde zu „bebauen und zu bewahren“. Ihr abzuringen, was wir nötig haben und gleichzeitig ihre Ressourcen zu schonen.

Und an zweiter Stelle: Die Erträge gerecht zu verteilen.

Dieses biblische biblische Ökonomie-Modell ist „Anti-Kapitalismus pur“. Wir wissen: Weder Juden- noch Christentum haben sich dieses Erbe bewahrt, geschweige denn gepflegt oder weiter entwickelt. Erinnert sei nur an die leidige Zins-Frage, die in beiden Kirchen hängen geblieben und nicht ausreichend reflektiert ist – im Unterschied zu den „Scharia-Banken“, die mit ihrem Zinsverbot souverän durch die Finanzkrise gekommen sind.
Dabei dürfte klar sein, dass die Zins- und Zinseszins-Mechanik den Wachstumswahn beschleunigt, weil immer Kapitalrenditen mit bedient werden müssen.

Auch die Bibel des Neuen Testamentes fußt auf dieser Leitidee der Gerechtigkeit:

Der ärgerliche Tarif-Konflikt im Gleichnis von den „Arbeitern im Weinberg“ (Mt 20) fordert einen existenzsichernden Mindestlohn für alle, die Beteiligung aller Erwerbsfähigen und -willigen und die Reduzierung der Vollerwerbsarbeit, denn sie lohnt nicht mehr, weil das Leben auf der Strecke bleibt. Die „Ökonomie des Genug“ bedeutet für alle: Es reicht! Es ist genug! Ein Wort, das im Wortschatz des Kapitalismus fehlt.

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lk 12) verurteilt die Spekulation mit Lebensmitteln. Getadelt wird ja nicht der Fleiß des Bauern, erst recht nicht die gute Ernte, sondern vielmehr seine Absicht, das Getreide zu horten, um es in Zeiten der Not mit Höchstpreisen auf den Markt zu werfen.

Mit der Tempelreinigung (Mt 21) attackiert Jesus das ausbeuterische, monopolistische Tempelsystem, die Steuer-, Währungs-, Zins-Zentrale mit angeschlossenem Supermarkt, Großschlächterei und Gastronomiebetrieben. Ein gewaltiger Konzern in der Hand der Priester-Kaste. Klar, wer sich da vergreift, wird nicht überleben.

Auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft hat die Christenheit allen Grund, kapitalismuskritisch zu sein, wie es ja auch Kath. Soziallehre und ev. Sozialethik immer wieder durchscheinen lassen.

Daraus leite ich im Blick auf eine zaghafte Debatte, die sich nun mit einer Wirtschaft jenseits des Wachstums befasst, folgende Handlungsperspektiven ab:

Es ist genug für alle da. Das bestätigt auch das Wuppertal-Institut zumindest noch bis zu 8 Mrd. Menschen.
Sie können nicht nur überleben, sondern hätten gut zu leben, wenn wir nicht Wachstum, sondern Gerechtigkeit als Organisationsprinzip installieren.
Wachstum ist natürlich nicht in sich schlecht, aber es ist begrenzt. Welches Wachstum nötig ist und intendiert werden soll, muss im gesellschaftlichen Diskurs entschieden werden.
Es geht um den „Primat der Politik“, die Wiederkehr der Gerechtigkeit. Einer Politik allerdings, die sich nicht freiwillig zum Spielball der Kapitalmärkte degradieren lässt, sondern rigide reguliert.

Als Christen und Christinnen sollten wir ebenso wie als SPD-Mitglieder eine neue „Werte-Debatte“ inszenieren.

Wirtschaft ist im internationalen Konsens neu und verbindlich zu definieren: Sie ist kein Bereicherungsinstitut für wenige, sondern steht für „Gutes Leben“ für alle. Sie hat dem Gemeinwohl zu dienen, möglichst alle an der Erstellung des „Produkts“ zu beteiligen und die Ressourcen zu schonen.

Das Geld muss offensichtlich noch einmal neu erfunden werden: Es hat der Real-Wirtschaft zu dienen und muss mit ihr verkoppelt werden. Es ist Tauschmittel und nicht virtueller Wertspeicher. Die Bereitstellung von Geld, die Wahrung der Geldwertstabilität sind Sache der Öffentlichen Hand und dürfen nicht dem Markt anheimgestellt werden.

Der Staat bzw. die Staatengemeinschaften müssen mit ihrer eigentlichen Aufgabeneu konfrontiert werden, nämlich der Schaffung und der Garantie sozialer Gerechtigkeit.

Paul Schobel, Betriebsseelsorger

Stuttgart 21 - Presseerklärung zu Claus Schmiedels Redebeitrag

Presseerklärung des Gesprächskreises Christinnen/Christen und SPD
zu Claus Schmiedels Redebeitrag bei der Kundgebung am 27.8.2011 zu Stuttgart 21

Demokratie ist nicht zuletzt eine Methode, Konflikte friedlich mit Argumenten auszutragen. Dabei haben alle dasselbe Recht. Sie tun, was Demokratie ermöglicht und verlangt. Daher kann eine demokratische Auseinandersetzung kein Kampf zwischen Gut und Böse sein. Wer einen Konflikt so darstellt, verlässt den Boden einer demokratischen Kultur.
CIaus Schmiedel hat den Befürwortern von Stuttgart 21 zugerufen: „Wir sind die Guten!“ Wer gegen ,,Guten" ist, gehört doch wohl zu den Bösen. Das wären, dann auch viele Sozialdemokraten, natürlich auch der Koalitionspartner im Land. Darf ein verantwortlicher Politiker so reden? Seit es Religionen gibt, werden sie missbraucht. Wann auch immer Politiker Gottes Wille mit dem ihrigen verwechseln entstand Unheil.
In Stuttgart geht es nicht um Leben und Tod. Aber „ruht“ auf diesem Projekt „Gottes Segen“, wie Claus Schmiedel meint? Woher weiß er das? Was spricht dafür? Dass diese Projekt bislang nur eines bewirkt hat: die schwer erträgliche Polarisierung einer friedlichen Stadt? Wenn Gottes Segen so gar keine Spuren hinterlässt, meint Schmiedel etwa: „Gott will diesen Bahnhof und keinen anderen?

Der Versuchung, politische Sachkonflikte religiös aufzuladen, haben in letzter Zeit sogar die meisten CDU-Leute widerstanden. Muss nun ein Sozialdemokrat wieder damit anfangen? Und ausgerechnet da, wo der innere Friede ohnehin in Gefahr ist?

Wir fordern den Landesvorstand und die Landtagsfraktion auf, mit Claus Schmiedel darüber zu sprechen. Wir jedenfalls wissen nicht, was in Sachen Stuttgart 21 Gottes Wille ist. Es geht nicht um Gut und Böse, wir wollen uns als Demokraten um die beste Lösung bemühen.

Der Sprecherkreis Christen/innen und SPD
Otto Haug, Rainer Hub, Rainer Lang, Susanne Mauch-Friz, Paul Schobel
sowie
Dr. Erhard Eppler, Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker

Verantwortlich: Otto Haug, Tel.: 07121/267447 E-Mail otto.haug@web.de
Rainer Lang, Tel.:01743135651 E-Mail rainer_lang @hotmail.com

Gesine Schwan: Warum es eine wachsame Zivilgesellschaft braucht

Auch mit dem 7. Forum Zivilgesellschaft, in den Räumlichkeiten der BW Bank , hat die Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN einen öffentlich beachteten Beitrag zu bürgerschaftlicher Verantwortung im Gemeinwesen geleistet. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin und zweimalige Kandidatin bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten, referierte zum Spannungsfeld zwischen Zivilgesellschaft und repräsentativer Demokratie.
„Die Zivilgesellschaft steht nicht gegen die parlamentarische Demokratie“, schlussfolgert Gesine Schwan nach einem engagierten, politisch und philosophisch tief fundierten Vortrag. Eine informierte Zivilgesellschaft sei vielmehr eine sinnvolle Ergänzung. „Hier müssen zwei scheinbare Gegner kooperieren, wenn es gelingen soll“, fügt sie hinzu. „Auch wenn die Sozialdemokraten, meine eigene Partei, mit der Zivilgesellschaft nicht so viel am Hut hat, nur eine organisierte Gesellschaft kann sich gewinnbringend in Parteien, Verbänden und Initiativen wie die Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN einsetzen.“
Vor diesem Hintergrund schrieb sie den Parlamentariern mehr Transparenz ins Stammbuch politischer Arbeit.
Eine funktionierende Demokratie setze eine große politische Reife der Parlamentarier voraus und verlange „von uns Bürgern politisch zu sein“. Vehement wehrt sich die Politikwissenschaftlerin „im 86sten Semester“ gegen die Vorstellung, dass es „ein Volk“ gibt. „Wir sind eine pluralistische Gesellschaft.“ Unterschiedliche Erfahrungen und Interessen, wobei sie letztere nicht nur egoistisch motiviert sieht, bestimmten das Gemeinwohl. Deshalb sei es wichtig, sich stets zu vergegenwärtigen, was der eigene Wunsch und Wille für das Gegenüber, bedeute. In diesem Sinn sei die Antwort auf die Frage, wie gesellschaftliche Entscheidungen gefunden und getroffen werden „der normative Kern der Demokratie.
Der Weg von einer Wettbewerbswirtschaft hin zu einer Wettbewerbsgesellschaft erscheint der politischen Philosophin ungeeignet. „Das zerstört die Grundlage der Gesellschaft, wenn jeder nur daran denkt, wie er selbst der Erste sein kann.“ Deshalb ist sie „sehr skeptisch gegenüber Volksabstimmungen“. Hier habe derjenige, der die Frage zur Abstimmung formuliere, bereits gewonnen. Strittige Projekte, Gesine Schwan erinnert an Stuttgart 21, könnten nur mit Hilfe von Regeln, die die Grenzen des anderen achteten, geklärt werden. Damit solche Regeln eingehalten werden, ist es für die praktizierende Katholikin wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft „kundig macht“. „Man muss schauen, was für wen, welche Konsequenzen hat, einfach nur mit Ja oder Nein abstimmen, bringt nichts.“ Die Demokratie sei nicht stärker, wenn das Volk abstimmen dürfe. „Dem lieben Gott, als letzte neutrale Instanz, dürfen wir Entscheidungen auch nicht anvertrauen, er steigt nicht jeden Tag auf die Erde herab.“
In der abschließenden Diskussionsrunde beantwortete Gesine Schwan Zuhörerfragen zum Gewicht des Lobbyismus, der Rolle der Medien und zum Demokratieverständnis anderer Länder.
Deutschland hat eine repräsentative Demokratie, das heißt, politische Entscheidungen und die Kontrolle der Regierung gehen nicht unmittelbar vom Volk aus wie bei der direkten Demokratie. Sie werden stellvertretend getroffen. Seit Stuttgart 21 und Fokushima wird öffentlich heftig diskutiert, ob und wie viel Mitsprache dem „Volk“ zukommen soll.
Sabine von Varendorff

In die Zukunft investieren - ein Start-Brief an die SPD-Fraktion mit Antworten von Florian Wahl und Claus Schmiedel

Lieber Nils, lieber Klaus, liebe Abgeordnete der SPD Fraktion,

dieser Tage traf sich der Gesprächskreis Christen/innen und SPD unter dem Thema „SPD nach der Wahl – vorwärts wohin?“. Große Freude herrschte darüber, dass es gelungen ist, die CDU in die Opposition zu schicken und eine grün-rote Mehrheit nun eine gute und zukunftsfähige Politik gestalten kann. Dies ist eine große Herausforderung – und darf nach unserer Auffassung an keinem (!) Sachthema scheitern.
Wir wünschen Euch deshalb Geschick, Mut und Zuversicht dies zu meistern und sind davon überzeugt, dass dies gelingen wird.

Ein großes Anliegen ist es uns, dass das Profil der SPD für die Menschen in Baden-Württemberg wieder besser sichtbar und erlebbar wird. Einen kleinen Beitrag möchte unser Arbeitskreis dazu beisteuern, indem wir Euch drei Themen unter der Überschrift „In die Zukunft investieren“ ans Herz legen, die aus unserer Sicht als Sozialdemokrat/innen und Christ/innen besonders wichtig sind, wenn es darum geht, Bürgerinnen und Bürger für eine sozialdemokratische Politik zu gewinnen.

In die Zukunft investieren heißt aus unserer Sicht die nachfolgenden Themenbereiche offensiv zu gestalten und - wo nötig - finanziell zu stärken.

1. Der Jugend die Chance an Teilhabe ermöglichen
In vielfacher Weise ist es für junge Menschen heute schwer geworden gleich-berechtigt, am gesellschaftlichen Leben teil zu haben und so einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. So zum Beispiel:
• Der Übergang von Schule zu Beruf stellt für viele junge Menschen trotz voraussehbarem Arbeitskräftemangel eine große Hürde dar, vor allem - aber längst nicht mehr nur - für Hauptschüler/innen.
• Einem großen Teil der jungen Generation gelingt der Einstieg in den Beruf nur noch über befristete Arbeitsplätze (dies oft über Jahre) oder über ausgelagerte Firmen.
• Die Integration von Migrant/innen muss schon im Kindergarten aktiv ange-gangen werden.
• Bildungspolitik muss so gestaltet werden, dass auch Schüler/innen aus sozial schwachen Bevölkerungsschichten eine Chance haben, aufzusteigen. Ein Schlüssel dazu sind genügend Lehrer/innen und kleinere Klassen.
• Gebühren für Kindertagesstätten und Hochschulen grenzen aus.
• Bei der jungen Generation besteht die Gefahr, dass sich die Jugend in abgegrenzten Subgruppen aufspaltet.

Deshalb bedarf es mehr als Geld. Es braucht neue Konzepte „junger Teilhabe“, die von der Bürgergesellschaft mitgetragen werden.

2. Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen vorantreiben
• Soziologen befürchten dass 20 % der Bevölkerung von gesellschaftlicher Teilhabe abgehängt werden. Dies hat viele Ursachen. Es muss u.a. darüber nachgedacht werden, wie Impulse gegeben werden können, dass sich diese Gesellschaftsgruppe nicht nur im Wohlfahrtsstaat einrichtet, sondern Interesse am Aufstieg hat.
• Dazu braucht es neue Konzepte, die mehr ermöglichen, als ein höherer Hartz IV Satz.
• Neue Bürgerbündnisse müssen für diese Aufgabe gewonnen werden.

3. Sozialpolitik zur „Chefsache“ der SPD machen• Aus guter sozialdemokratischer Tradition heraus, sollte die SPD unbedingt das Arbeits- und Sozialministerium besetzen, und nicht den Grünen überlassen. Neben den dort vorgegebenen Aufgaben sollten neue Ansätze einer verstärkten Beteiligung der Bürger/innen, der Kirchen, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlichen Gruppierungen entwickelt werden.
• Die Zukunft des Sozialstaats liegt in einem „Bürger-Profi-Mix“. Hierfür müssen im Dialog mit der Zivilgesellschaft, Inhalte, Möglichkeiten und Strukturen auf allen Ebenen weiter entwickelt werden.
• Die zunehmende Privatisierung Sozialer Arbeit - mit der Folge eines enormen Drucks auf die Gehälter und Arbeitsbedingungen der Betreuungs- und Pflegekräfte muss kritisch überprüft werden.

Liebe SPDler/innen, wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, aus Wahlprogrammen und theoretischen Papieren, praktische Politik zu machen. Deshalb wünschen wir Euch gutes Gelingen!
Der Arbeitskreis „Christinnen/Christen und SPD“ des Landesverbandes ist gerne bereit, mitzudenken und Euch zu unterstützen, damit sozialdemokratische Politik in den nächsten fünf Jahren sichtbar und erlebbar wird.

Es grüßen Euch herzlich im Namen des Gesprächskreises

Otto Haug, Susanne Mauch-Friz, Rainer Hub, Rainer Lang und Paul Schobel
Sprecher des Gesprächskreises

Auf den Brief antworten nachfolgend Florian Wahl und Claus Schmiedel, MDL:
Florian Wahl: "Lieber Otto, liebe Genossinnen und Genossen des Gesprächskreises Christen/innen und SPD,
herzlichen Dank für Euer Schreiben zur Regierungsübernahme von SPD und Grünen. Nun ist der neue Ministerpräsident gewählt, die Regierungsmitglieder sind ernannt und der neue Landtag hat seine Arbeit aufgenommen. Damit sind für viele Menschen große Hoffnungen und Erwartungen verbunden. Diesen wollen und müssen wir als Landespolitiker so gut wie möglich gerecht werden, ohne den Blick für das große Ganze zu verlieren und kleinteilige Politik für einzelne Interessengruppen zu betreiben. Das wird nicht immer leicht sein, auch deswegen sind mir der Austausch und die Rückkopplung mit unterschiedlichsten Seiten wichtig. Insbesondere der Austausch mit Vertretern von Kirche, religiösen Einrichtungen und natürlich auch mit den Christen und Christinnen in der SPD lag mir als langjährig in Kirchengemeinde und evangelischer Jugendarbeit Aktiven immer sehr am Herzen. Daher danke ich Euch explizit auch für die inhaltlichen Anregungen in Eurem Brief. Ohne im Einzelnen auf alle Punkte einzugehen kann ich Euch versichern, dass wir uns in vielem einig sind. Ich würde mich freuen, wenn wir einen intensiven Dialog pflegen könnten und Ihr als Gesprächskreis immer eine kritische Sicht auf die Politik von Landesregierung und SPD-Fraktion bewahrt. Überdies würde ich gerne in naher Zukunft eine öffentliche Veranstaltung zum Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat organisieren und dabei auf Eure Unterstützung zählen können."

Claus Schmiedel: "Lieber Otto,
herzlichen Dank für Dein Schreiben in unser Stammbuch für die neue Legislatur und dieser Dank gilt auch für die mitunterzeichneten Sprecher und Sprecherin des Gesprächskreises.
Meine Antwort hat jetzt ungebührlich lange gedauert, aber Ihr verfolgt die sehr dichten und beschleunigten und in der Summe enorm beanspruchenden Entwicklungen um die Bildung der neuen Regierung gewiss mit Aufmerksamkeit. Insofern habt Ihr vermutlich Verständnis für diese Verzögerung; trotzdem bitte ich dafür um Nachsicht. Gerne gehe ich auf die von Euch vorgeschlagenen Aspekte ein.

Meine grundsätzliche Herangehensweise als Fraktionsvorsitzender für die rot-grüne Regierungszeit ist vor allem von einem geleitet, nämlich vom Blick auf das Wahljahr 2016. Denn es darf uns nicht geschehen, dass das konservativ-liberale Lager dann fröhlich ‚Urständ‘ feiert mit dem Vorwurf, rot-grün setze auf falsche Themen, sei konzeptionell unterentwickelt,
handwerklich unerfahren und unzuverlässig in der Umsetzung. Und wir
müssen auch verhindern, dass sich die rot-grüne Regierungszeit zu einem durchgefärbten ökologischen Projekt entwickelt. Aus diesen beiden Anforderungen leite ich zwei Notwendigkeiten ab: wir müssen erstens
die Erwartung an eine solide, berechenbare, kontrolliert mutige, aber immer mit einem eigenen Profil versehene Politik erfüllen. Und dieses Profil braucht genau die Themen, die Euer Vorschlag enthält, nämlich die sozialen. Ich denke, wir werden in punkto Nachhaltigkeit, Ökologie etc. mit den GRÜNEN mithalten können, die Nase vorn aber müssen wir bei den sozialen Themen haben.

Das klingt jetzt alles sehr pragmatisch und machtstrategisch geleitet, aber diese Auffassung wäre ein Missverständnis. Wir haben, vorsichtig gesprochen, als SPD ganz allgemein eine Rückbesinnung auf unser traditionelles Themenprofil notwendig, und die Herausforderung
besteht darin, dafür neue Antworten zu finden und zwar solche, aus denen
die Menschen schließen können, dass die SPD unverzichtbar und möglichst zu stärken ist. Unsere Integrationsministerin, um jetzt auf einen Aspekt Eures Briefes besonders einzugehen, vertritt zum Beispiel einen Integrationsbegriff, der weit über das Migrationsthema hinausgeht. Sie orientiert sich an Desintegrations-Merkmalen und hat damit auch
jene Menschen im Auge, die aus anderen Gründen als Migration am Rand unserer Gesellschaft stehen oder schon jenseits. Dass wir für die SPD wie von Euch eingefordert das Sozialministerium sichern konnten, wird die hier auftretenden Abgrenzungsnotwendigkeiten gewiss erleichtern.
Mit diesen Aufgaben und vor allem mit solchen Herausforderungen vor Augen, nehme ich gerne Euer Angebot an, vielleicht auch mit Tat, vor allem aber mit Rat an einer guten Rolle unserer SPD in der bevorstehenden Legislatur mitzuarbeiten. Es wird manche Gelegenheit
geben, dass wir uns auch informell treffen und ich möchte dafür sorgen, dass Ihr davon auch durch Einladungen erfahrt. Mit herzlichem Dank und freundlichen Grüßen, auch an Deine Mitstreiter/innen. Claus Schmiedel."

Auf der Suche nach den wahren Werten: Professor Flassbeck geht mit Investmentbankern ins Gericht
Professor Flassbeck

Professor Heiner Flassbeck, Direktor bei der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UNO, ist bekannt dafür, dass er mit dem System Investmentbanking hart ins Gericht geht. Dies tat er auch beim Gesprächskreis Christinnen und Christen und SPD in Baden-Württemberg am Donnerstag, den 18. November 2010. Alle Spekulationen beispielsweise am Rohstoffmarkt führen seiner Analyse nach zu höheren Preisen und vielfältiger sozialer Not. Aber nicht zu mehr Produktion beispielsweise von Nahrungsmitteln. „Wo sind denn die scheinbaren Werte, von denen diese Banker sprechen, dass sie sie geschaffen hätten?“, warf Flassbeck in die Runde und erntete dabei betroffenen Applaus.