In die Zukunft investieren - ein Start-Brief an die SPD-Fraktion mit Antworten von Florian Wahl und Claus Schmiedel

Veröffentlicht am 20.04.2011 in Allgemein

Lieber Nils, lieber Klaus, liebe Abgeordnete der SPD Fraktion,

dieser Tage traf sich der Gesprächskreis Christen/innen und SPD unter dem Thema „SPD nach der Wahl – vorwärts wohin?“. Große Freude herrschte darüber, dass es gelungen ist, die CDU in die Opposition zu schicken und eine grün-rote Mehrheit nun eine gute und zukunftsfähige Politik gestalten kann. Dies ist eine große Herausforderung – und darf nach unserer Auffassung an keinem (!) Sachthema scheitern.
Wir wünschen Euch deshalb Geschick, Mut und Zuversicht dies zu meistern und sind davon überzeugt, dass dies gelingen wird.

Ein großes Anliegen ist es uns, dass das Profil der SPD für die Menschen in Baden-Württemberg wieder besser sichtbar und erlebbar wird. Einen kleinen Beitrag möchte unser Arbeitskreis dazu beisteuern, indem wir Euch drei Themen unter der Überschrift „In die Zukunft investieren“ ans Herz legen, die aus unserer Sicht als Sozialdemokrat/innen und Christ/innen besonders wichtig sind, wenn es darum geht, Bürgerinnen und Bürger für eine sozialdemokratische Politik zu gewinnen.

In die Zukunft investieren heißt aus unserer Sicht die nachfolgenden Themenbereiche offensiv zu gestalten und - wo nötig - finanziell zu stärken.

1. Der Jugend die Chance an Teilhabe ermöglichen
In vielfacher Weise ist es für junge Menschen heute schwer geworden gleich-berechtigt, am gesellschaftlichen Leben teil zu haben und so einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. So zum Beispiel:
• Der Übergang von Schule zu Beruf stellt für viele junge Menschen trotz voraussehbarem Arbeitskräftemangel eine große Hürde dar, vor allem - aber längst nicht mehr nur - für Hauptschüler/innen.
• Einem großen Teil der jungen Generation gelingt der Einstieg in den Beruf nur noch über befristete Arbeitsplätze (dies oft über Jahre) oder über ausgelagerte Firmen.
• Die Integration von Migrant/innen muss schon im Kindergarten aktiv ange-gangen werden.
• Bildungspolitik muss so gestaltet werden, dass auch Schüler/innen aus sozial schwachen Bevölkerungsschichten eine Chance haben, aufzusteigen. Ein Schlüssel dazu sind genügend Lehrer/innen und kleinere Klassen.
• Gebühren für Kindertagesstätten und Hochschulen grenzen aus.
• Bei der jungen Generation besteht die Gefahr, dass sich die Jugend in abgegrenzten Subgruppen aufspaltet.

Deshalb bedarf es mehr als Geld. Es braucht neue Konzepte „junger Teilhabe“, die von der Bürgergesellschaft mitgetragen werden.

2. Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen vorantreiben
• Soziologen befürchten dass 20 % der Bevölkerung von gesellschaftlicher Teilhabe abgehängt werden. Dies hat viele Ursachen. Es muss u.a. darüber nachgedacht werden, wie Impulse gegeben werden können, dass sich diese Gesellschaftsgruppe nicht nur im Wohlfahrtsstaat einrichtet, sondern Interesse am Aufstieg hat.
• Dazu braucht es neue Konzepte, die mehr ermöglichen, als ein höherer Hartz IV Satz.
• Neue Bürgerbündnisse müssen für diese Aufgabe gewonnen werden.

3. Sozialpolitik zur „Chefsache“ der SPD machen• Aus guter sozialdemokratischer Tradition heraus, sollte die SPD unbedingt das Arbeits- und Sozialministerium besetzen, und nicht den Grünen überlassen. Neben den dort vorgegebenen Aufgaben sollten neue Ansätze einer verstärkten Beteiligung der Bürger/innen, der Kirchen, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlichen Gruppierungen entwickelt werden.
• Die Zukunft des Sozialstaats liegt in einem „Bürger-Profi-Mix“. Hierfür müssen im Dialog mit der Zivilgesellschaft, Inhalte, Möglichkeiten und Strukturen auf allen Ebenen weiter entwickelt werden.
• Die zunehmende Privatisierung Sozialer Arbeit - mit der Folge eines enormen Drucks auf die Gehälter und Arbeitsbedingungen der Betreuungs- und Pflegekräfte muss kritisch überprüft werden.

Liebe SPDler/innen, wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, aus Wahlprogrammen und theoretischen Papieren, praktische Politik zu machen. Deshalb wünschen wir Euch gutes Gelingen!
Der Arbeitskreis „Christinnen/Christen und SPD“ des Landesverbandes ist gerne bereit, mitzudenken und Euch zu unterstützen, damit sozialdemokratische Politik in den nächsten fünf Jahren sichtbar und erlebbar wird.

Es grüßen Euch herzlich im Namen des Gesprächskreises

Otto Haug, Susanne Mauch-Friz, Rainer Hub, Rainer Lang und Paul Schobel
Sprecher des Gesprächskreises

Auf den Brief antworten nachfolgend Florian Wahl und Claus Schmiedel, MDL:
Florian Wahl: "Lieber Otto, liebe Genossinnen und Genossen des Gesprächskreises Christen/innen und SPD,
herzlichen Dank für Euer Schreiben zur Regierungsübernahme von SPD und Grünen. Nun ist der neue Ministerpräsident gewählt, die Regierungsmitglieder sind ernannt und der neue Landtag hat seine Arbeit aufgenommen. Damit sind für viele Menschen große Hoffnungen und Erwartungen verbunden. Diesen wollen und müssen wir als Landespolitiker so gut wie möglich gerecht werden, ohne den Blick für das große Ganze zu verlieren und kleinteilige Politik für einzelne Interessengruppen zu betreiben. Das wird nicht immer leicht sein, auch deswegen sind mir der Austausch und die Rückkopplung mit unterschiedlichsten Seiten wichtig. Insbesondere der Austausch mit Vertretern von Kirche, religiösen Einrichtungen und natürlich auch mit den Christen und Christinnen in der SPD lag mir als langjährig in Kirchengemeinde und evangelischer Jugendarbeit Aktiven immer sehr am Herzen. Daher danke ich Euch explizit auch für die inhaltlichen Anregungen in Eurem Brief. Ohne im Einzelnen auf alle Punkte einzugehen kann ich Euch versichern, dass wir uns in vielem einig sind. Ich würde mich freuen, wenn wir einen intensiven Dialog pflegen könnten und Ihr als Gesprächskreis immer eine kritische Sicht auf die Politik von Landesregierung und SPD-Fraktion bewahrt. Überdies würde ich gerne in naher Zukunft eine öffentliche Veranstaltung zum Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat organisieren und dabei auf Eure Unterstützung zählen können."

Claus Schmiedel: "Lieber Otto,
herzlichen Dank für Dein Schreiben in unser Stammbuch für die neue Legislatur und dieser Dank gilt auch für die mitunterzeichneten Sprecher und Sprecherin des Gesprächskreises.
Meine Antwort hat jetzt ungebührlich lange gedauert, aber Ihr verfolgt die sehr dichten und beschleunigten und in der Summe enorm beanspruchenden Entwicklungen um die Bildung der neuen Regierung gewiss mit Aufmerksamkeit. Insofern habt Ihr vermutlich Verständnis für diese Verzögerung; trotzdem bitte ich dafür um Nachsicht. Gerne gehe ich auf die von Euch vorgeschlagenen Aspekte ein.

Meine grundsätzliche Herangehensweise als Fraktionsvorsitzender für die rot-grüne Regierungszeit ist vor allem von einem geleitet, nämlich vom Blick auf das Wahljahr 2016. Denn es darf uns nicht geschehen, dass das konservativ-liberale Lager dann fröhlich ‚Urständ‘ feiert mit dem Vorwurf, rot-grün setze auf falsche Themen, sei konzeptionell unterentwickelt,
handwerklich unerfahren und unzuverlässig in der Umsetzung. Und wir
müssen auch verhindern, dass sich die rot-grüne Regierungszeit zu einem durchgefärbten ökologischen Projekt entwickelt. Aus diesen beiden Anforderungen leite ich zwei Notwendigkeiten ab: wir müssen erstens
die Erwartung an eine solide, berechenbare, kontrolliert mutige, aber immer mit einem eigenen Profil versehene Politik erfüllen. Und dieses Profil braucht genau die Themen, die Euer Vorschlag enthält, nämlich die sozialen. Ich denke, wir werden in punkto Nachhaltigkeit, Ökologie etc. mit den GRÜNEN mithalten können, die Nase vorn aber müssen wir bei den sozialen Themen haben.

Das klingt jetzt alles sehr pragmatisch und machtstrategisch geleitet, aber diese Auffassung wäre ein Missverständnis. Wir haben, vorsichtig gesprochen, als SPD ganz allgemein eine Rückbesinnung auf unser traditionelles Themenprofil notwendig, und die Herausforderung
besteht darin, dafür neue Antworten zu finden und zwar solche, aus denen
die Menschen schließen können, dass die SPD unverzichtbar und möglichst zu stärken ist. Unsere Integrationsministerin, um jetzt auf einen Aspekt Eures Briefes besonders einzugehen, vertritt zum Beispiel einen Integrationsbegriff, der weit über das Migrationsthema hinausgeht. Sie orientiert sich an Desintegrations-Merkmalen und hat damit auch
jene Menschen im Auge, die aus anderen Gründen als Migration am Rand unserer Gesellschaft stehen oder schon jenseits. Dass wir für die SPD wie von Euch eingefordert das Sozialministerium sichern konnten, wird die hier auftretenden Abgrenzungsnotwendigkeiten gewiss erleichtern.
Mit diesen Aufgaben und vor allem mit solchen Herausforderungen vor Augen, nehme ich gerne Euer Angebot an, vielleicht auch mit Tat, vor allem aber mit Rat an einer guten Rolle unserer SPD in der bevorstehenden Legislatur mitzuarbeiten. Es wird manche Gelegenheit
geben, dass wir uns auch informell treffen und ich möchte dafür sorgen, dass Ihr davon auch durch Einladungen erfahrt. Mit herzlichem Dank und freundlichen Grüßen, auch an Deine Mitstreiter/innen. Claus Schmiedel."

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