Voller Einsatz zur Erhaltung des Sozialstaates

Veröffentlicht am 16.04.2009 in Allgemein

Wolfgang Thierse sprach zum Thema „Suchet der Stadt Bestes – Auftrag der Kirchen und der SPD“.

Gerade in wirtschaftlich stürmischen und sozial unsicheren Zeiten sieht der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse zahlreiche gemeinsame Aufgaben, die Politik und Religion gemeinsam anpacken können. Auch viele Grundwerte, wie etwa die Orientierung an der Menschenwürde und die gerechte Verteilung der Güter verbinde die Religion mit der Politik. „Entscheidend ist jetzt die Verteidigung des Sozialstaates, machte der SPD-Politiker am Samstag, den 4. April 2009 bei einem Vortrag des baden-württembergischen Arbeitskreises „Christinnen und Christen in der SPD“ in den Räumen der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart deutlich. Das Treffen stand unter dem Motto „Suchet der Stadt Bestes – Auftrag der Kirchen und der SPD“.

„Es gibt in Deutschland eine klare Entscheidung, das ist die Trennung von Politik und Religion“, sagt Wolfgang Thierse. Dies bringe eine Mäßigung der Religion, ihre Enttraditionalisierung sowie den Erwerb von Toleranz mit sich. „Gibt es aber noch die Leidenschaft der Religion? Vielleicht nicht – und das ist vielleicht auch gut so.“ Dennoch, so Thierse, könne es keinen losgelösten Glauben geben, „er ist keine Privatangelegenheit“. Von einem „unausweichlichen Spannungsverhältnis zwischen Politik und Religion“ spricht der Bundestagsvizepräsident, denn bei ersterer gehe es um Lösungen und bei zweiterer um Erlösung. „Das ist ein wichtiger Unterschied“. Dennoch hätten sie auch vieles gemeinsam, zum Beispiel gemeinsame Maßstäbe für richtige Entscheidungen.

„Politik und Religion sollte verbinden, dass wir uns an der Menschenwürde orientieren“, nannte Thierse den ersten der gemeinsamen Maßstäbe. „Denn wir sind alle gleiche Kinder Gottes“. Christen und Sozialdemokraten, so Thierse weiter, sollten Einspruch dagegen erheben, „dass wir auf Arbeitskräfte und auf Konsumenten reduziert werden und wir sollten uns wehren gegen die absolute Dominanz des Ökonomischen“. Gerade die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise biete die Möglichkeiten, die richtigen Konsequenzen bezüglich den Maßstäben für Erfolg zu ziehen.

„Die Glaubensüberzeugung von der gleichen Würde jedes Menschen ist die tiefste Begründung zur Verpflichtung zur Gerechtigkeit, so Wolfgang Thierse. „Gott schließt mit jedem Menschen den gleichen Vertrag“, bewerte nicht unseren Erfolg oder unsere Leistung. Ein Maßstab für Politik und Religion sei daher Zugestehung der gleichen Würde für jeden Menschen. „Wo sie verletzt wird, entsteht eine Vertrauenskrise der Demokratie“. Für entscheidend hält Thierse, ob es in der aktuellen Krise gelingt, die Lasten „einigermaßen gleich“ zu verteilen. Dies aber müsse „ein entscheidender Maßstab für die Lösung“ sein, sei aber keineswegs selbstverständlich. Er selbst sei sich auch nicht sicher, ob es „für die faire Lastenverteilung eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt“. Verteilungs- und Teilhabegerechtigkeit ist für den Politiker der große Maßstab seiner eigenen Zunft. Als keine gute Lösung schätzt Thierse dabei ein, einfach die Steuern zu schenken, „eine sehr populäre Maßnahme“. Vielmehr gehe es um eine gemeineinsame Verantwortung, um den Zugang zu Gütern wie beispielsweise Bildung für alle zu gewährleisten. Hier biete die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise auch eine Chance: „Die Politik bekommt wieder das Primat zurück – und ist nicht mehr nur Dienstleister des Marktes“.

Als weitere gemeinsame Aufgabe von Politik und Religion sieht Thierse die „Verteidigung des Sozialstaates“. Gerade auf die „institutionalisierte Gier“ müsse mit der Erneuerung des Sozialstaatsgedankens reagiert werden. Denn „weil jeder Mensch Bürger ist“, habe er den Anspruch, ein würdiges Leben zu führen. Sozialstaat, das ist für den SPD-Politiker „organisierte Solidarität“ – allerdings mit der Gefahr, dass die entsprechende Bürokratie die Menschen „wieder zu Objekten“ mache. Und, ob der Sozialstaat Zukunft habe, das hänge von den Menschen selbst ab.

Als viertes verbindendes Element nannte Thierse den Friedensauftrag der christlichen Kirchen und die Friedensorientierung der Sozialdemokraten. Schließlich gebe es nur dann in der Welt Frieden, wenn die Menschen auch zu einem Religionsfrieden fänden. Dabei könne die SPD auch aus der jüngsten Geschichte die Erfahrung schöpfen, dass sich „dramatische Konflikte durch Politik und ihre Friedensbemühungen überwinden“ lassen.

In der Bibel findet Wolfgang Thierse im Bergpredigt-Gleichnis von den Vögeln im Himmel und den Lilien auf dem Felde „eine wunderbare Absage an die Allmachtsphantasien der Politik“, an deren Selbstüberschätzung und auch Selbstüberforderung. Die Aufgabe für die Christen sieht der Politiker darin, trotz der momentanen Wirtschaftskrise „den Kapitalismus zu propagieren“, der für ihn eine Kombination ist aus Solidarität und Markt. Denn: „es gibt sowieso keine realistische Systemalternative“.

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