Soziale Politik als Markenzeichen: Ideen des neuen SPD-Chefs gehen manchen Genossen nicht weit genug

Veröffentlicht am 05.03.2010 in Allgemein

Kämpferische Parolen sind nicht die Sache von Nils Schmid. Der neue Parteivorsitzende und Hoffnungsträger der baden-württembergischen SPD setzt auf Vernunft. So zieht der 36-Jährige mit ausgewogenen Argumenten gegen den „Steuersenkungswahn der FDP“ zu Feld. Bei einer Veranstaltung des Gesprächskreises „Christinnen und Christen und SPD“ in Stuttgart erklärt er, dass die Akzeptanz von Steuerzahlungen immer wieder neu errungen und den Bürgern deutlich gemacht werden müsse, dass „Steuern keine Strafe sind“.

Dass der Staat mit den ihm anvertrauten Gut der Steuern verantwortlich umgehen müsse, ist für Schmid selbstverständlich. Besonders betont er beim Arbeitskreis, dass der Grundsatz schon in der Bibel zu finden sei. Der SPD-Chef wirbt für einen handlungsfähigen Staat und den Gestaltungsspielraum der Politik. Soziale Politik müsse wieder zum Markenzeichen der SPD werden.

Deutlich grenzt er sich zur ab: Gegenüber der FDP, die „Egoismus zur Tugend stilisiert“, und der damit verknüpften Vorstellung, der ziehe Staat dem Bürger das Geld aus der Tasche. Schmid wirbt für ein neues politisches Konzept der Sozialdemokraten. Doch seine Zuhörer vermissen dabei das Gefühl und neue Visionen. Sie werfen Schmid vor, dass seine Positionen letztlich nur eine Korrektur der Regierungspolitik darstellten. Das genüge nicht mehr.

An der Basis brodelt es. Auch die Stuttgarter sind mit der Parteispitze unzufrieden. In Stuttgart geht es um den Widerstand vieler Sozialdemokraten gegen „Stuttgart 21“ mit einem neuen Hauptbahnhof. Der frühere Chef der SPD-Landtagsfraktion, Wolfgang Drexler, ist aber zu einer Galionsfigur des neuen Bahnhofs geworden. Es wurde deutlich, dass dies für Schmid eine Hypothek sei. Im gleichen Atemzug räumte er ein, dass die Partei sich zu spät vom Privatisierungskurs bei der Bahn verabschiedet habe.

Straßen, Krankenversorgung, Schienennetz, Datenautobahn oder Bildung sind für Schmid hoheitliche Aufgaben des Staats. Er kritisiert den „Privatisierungswahn“ – „Ist Geld nur gut, wenn es Profit macht?“ – und prangert „Privatisierungssünden“ an, wie den Verkauf öffentlicher Kanalnetze. Dem individuellen Mehrwert setzte er den gesellschaftlichen Mehrwert entgegen, der durch sinnvollen Einsatz der Steuergelder entstehe.

Nur so lassen sich für Schmid die „Kernaufgaben des Staates“ finanzieren. Alles auf Gebühren abzuwälzen, hält er für unsozial. Der SPD-Chef wirft der Bundesregierung vor, die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr ernst zu nehmen. Es gelte nun, das Solidarsystem zu stärken.

Schmid spricht von einer Steuerpflicht. Die Vermögenden sollten deshalb auch mehr abgeben, um soziale Leistungen zu finanzieren. Wenn Reiche nur ein Prozent ihres Einkommens abgeben würden, könnten sie kostenlose Bildung für Ärmere finanzieren, rechnete Schmid vor. Hart bestrafen will er denn auch alle Steuersünder, die den Nerv des Gerechtigkeitsempfindens der Gesellschaft treffen würden. Deshalb müssten die CDs mit Daten von Steuerflüchtlingen auch unbedingt angekauft werden. Geringverdiener will Schmid weiter entlasten, vor allem bei den Sozialabgaben.

Das klingt alles vernünftig. Aber so recht will der Funke nicht überspringen. Die Zuhörer wollen mehr: Visionen. Die Partei soll ins Grundsätzliche gehen und die Prinzipien einer gerechten Gesellschaft formulieren vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der sozialen Verwerfungen. Sie wollen den „Traum von der Solidarität“ realisieren. Sie sprechen von der Magie der Solidarität und des Gemeinwohls, die wieder erlebbar werden und die Menschen mitreißen soll. Mitreißen konnte Schmid niemanden so recht.

Dass Sozialdemokraten und Kirchen durchaus ähnliche Probleme haben und ihnen deshalb die Mitglieder weglaufen, darüber waren sich alle einig. Und sowohl in der Partei als auch bei den Kirchen herrscht eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie dieser Trend zu stoppen ist. Solidarität müsse wieder sexy werden, lautete eine Empfehlung aus der Zuhörerschaft. Zumindest wollen die Christen in der SPD in Kürze weitere Grundsatzdebatten in der Partei anstoßen, hieß es.

Auch Schmid sieht die enge Verbindung zwischen Partei und Kirche, vor allem bei den Werten. Auch die enge Verschränkung von Religion und Staat, die sich zum Beispiel im Religionsunterricht niederschlägt, will Schmid nicht aufgeben. Er forderte jedoch von den Kirchen mehr Toleranz im Blick auf die Integration. Dabei plädierte er für eine stärkere Offenheit der Kirchen für den Islam und dessen Anspruch auf eine öffentliche Rolle. Die neue Religion gelte es in die Gesellschaft einzubinden.

Rainer Lang

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