Gesine Schwan: Warum es eine wachsame Zivilgesellschaft braucht

Veröffentlicht am 24.05.2011 in Allgemein

Auch mit dem 7. Forum Zivilgesellschaft, in den Räumlichkeiten der BW Bank , hat die Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN einen öffentlich beachteten Beitrag zu bürgerschaftlicher Verantwortung im Gemeinwesen geleistet. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin und zweimalige Kandidatin bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten, referierte zum Spannungsfeld zwischen Zivilgesellschaft und repräsentativer Demokratie.
„Die Zivilgesellschaft steht nicht gegen die parlamentarische Demokratie“, schlussfolgert Gesine Schwan nach einem engagierten, politisch und philosophisch tief fundierten Vortrag. Eine informierte Zivilgesellschaft sei vielmehr eine sinnvolle Ergänzung. „Hier müssen zwei scheinbare Gegner kooperieren, wenn es gelingen soll“, fügt sie hinzu. „Auch wenn die Sozialdemokraten, meine eigene Partei, mit der Zivilgesellschaft nicht so viel am Hut hat, nur eine organisierte Gesellschaft kann sich gewinnbringend in Parteien, Verbänden und Initiativen wie die Stiftung ZEIT FÜR MENSCHEN einsetzen.“
Vor diesem Hintergrund schrieb sie den Parlamentariern mehr Transparenz ins Stammbuch politischer Arbeit.
Eine funktionierende Demokratie setze eine große politische Reife der Parlamentarier voraus und verlange „von uns Bürgern politisch zu sein“. Vehement wehrt sich die Politikwissenschaftlerin „im 86sten Semester“ gegen die Vorstellung, dass es „ein Volk“ gibt. „Wir sind eine pluralistische Gesellschaft.“ Unterschiedliche Erfahrungen und Interessen, wobei sie letztere nicht nur egoistisch motiviert sieht, bestimmten das Gemeinwohl. Deshalb sei es wichtig, sich stets zu vergegenwärtigen, was der eigene Wunsch und Wille für das Gegenüber, bedeute. In diesem Sinn sei die Antwort auf die Frage, wie gesellschaftliche Entscheidungen gefunden und getroffen werden „der normative Kern der Demokratie.
Der Weg von einer Wettbewerbswirtschaft hin zu einer Wettbewerbsgesellschaft erscheint der politischen Philosophin ungeeignet. „Das zerstört die Grundlage der Gesellschaft, wenn jeder nur daran denkt, wie er selbst der Erste sein kann.“ Deshalb ist sie „sehr skeptisch gegenüber Volksabstimmungen“. Hier habe derjenige, der die Frage zur Abstimmung formuliere, bereits gewonnen. Strittige Projekte, Gesine Schwan erinnert an Stuttgart 21, könnten nur mit Hilfe von Regeln, die die Grenzen des anderen achteten, geklärt werden. Damit solche Regeln eingehalten werden, ist es für die praktizierende Katholikin wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft „kundig macht“. „Man muss schauen, was für wen, welche Konsequenzen hat, einfach nur mit Ja oder Nein abstimmen, bringt nichts.“ Die Demokratie sei nicht stärker, wenn das Volk abstimmen dürfe. „Dem lieben Gott, als letzte neutrale Instanz, dürfen wir Entscheidungen auch nicht anvertrauen, er steigt nicht jeden Tag auf die Erde herab.“
In der abschließenden Diskussionsrunde beantwortete Gesine Schwan Zuhörerfragen zum Gewicht des Lobbyismus, der Rolle der Medien und zum Demokratieverständnis anderer Länder.
Deutschland hat eine repräsentative Demokratie, das heißt, politische Entscheidungen und die Kontrolle der Regierung gehen nicht unmittelbar vom Volk aus wie bei der direkten Demokratie. Sie werden stellvertretend getroffen. Seit Stuttgart 21 und Fokushima wird öffentlich heftig diskutiert, ob und wie viel Mitsprache dem „Volk“ zukommen soll.
Sabine von Varendorff

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