Der dritte Weg der Kirchen - das kirchliche Arbeitsrecht in der politischen Bewertung

Veröffentlicht am 18.10.2012 in Veranstaltungen

Otmar Schreiner beim Vortrag

Im „16. Gespräch zum Erntedank“ hat der Gesprächskreis Christen und SPD Baden Württemberg Vertreter der kirchlichen Sozialdienste und der Gewerkschaften sowie den Sozialexperten im Bundestag Otmar Schreiner an einen Tisch gebracht. Letzterer gab in seinem Kurzreferat gute Impulse für die Diskussion der ca. 50 Besucher im Gemeindehaus der Evangelischen Friedensgemeinde Stuttgart. Die Veranstaltung fand am 12. Oktober 2012 in Kooperation mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk Baden-Württemberg statt.

Otto Haug, der Sprecher des Gesprächskreises und über 40 Jahre in Kirche und Diakonie beschäftigt, stellte fest, dass in manchen Sozialeinrichtungen die Bezahlung der Mitarbeiter oder die Qualität der Pflege Grund zur Sorge gebe. Während früher das Kostendeckungsprinzip galt, sind inzwischen Leistungs- und Fallpauschalen eingeführt. Der Sozialmarkt wurde für private Träger geöffnet, die Leistungen werden ausgeschrieben, der billigste Bieter bekommt den Auftrag. Hierunter leidet die ganzheitliche Betreuung, weil diese Zeit kostet, aber auch die Mitarbeiter. Die Kirche solle zwar alles selbst und einvernehmlich und auf Augenhöhe mit ihren Mitarbeitern regeln, aber die Augenhöhe sei nicht mehr gewährleistet. Deswegen müssten die Gewerkschaften zu Hilfe kommen. Ottmar Schreiner bestätigte die Problematik schlechter Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Diensten mit Millionen Beschäftigten wie etwa Zeitarbeit oder untertariflichen Bezahlungen. Der „dritte Weg“ der Kirchen sei lange Jahre problemlos gewesen, weil sie den Bundesangestelltentarif BAT einfach übernommen hatten. In den 90er Jahren seien jedoch auch die Sozialen Dienste „im neoliberalen Rausch dem Wettbewerbsprinzip unterworfen worden“, so Schreiner, wodurch die Pflegebedingungen zum zentralen Wettbewerbsfaktor wurden. Weil es keinen flächen- und branchenbezogenen Tarif für Sozialarbeit gibt, versuchte man mit stagnierenden Löhnen, Leiharbeit, 400 € Jobs und mit „sparsameren“ Arbeitsbedingungen im Wettbewerb mitzuhalten; Wettbewerb müsse aber über die bessere Qualität der Arbeit und nicht über schlechtere Arbeitsbedingungen erfolgen. Gerade kirchliche Einrichtungen müssten höhere ethische Ansprüche an sich selbst stellen als private Einrichtungen. Die Wohlfahrtsverbände sollten sich gemeinsam politisch dafür stark machen, die sozialen Dienste aufzuwerten und damit auch die Arbeit zu verbessern, denn sie sei heute eindeutig unterbewertet. „Wieso soll ein Mechaniker mehr bekommen als jemand, der einen Menschen pflegt?“ Aber auch die Gewerkschaften, die immer für Flächentarife und für Wettbewerb durch bessere Qualität bzw. Qualifikation gewesen seien, müssten ein Interesse daran haben, dass die Konflikte nicht auf dem Rücken der Beschäftigten oder der Betroffenen ausgetragen werden. Problem sei, dass die Kirchen von den Gewerkschaften erwarten, dass sie auf das Streikrecht verzichten und als Voraussetzung für ein gemeinsames Tarifwerk den dritten Weg als gleichgestellten Weg akzeptieren. Dem werde keine Gewerkschaft zustimmen, weil damit das eigene Instrumentarium entwertet werde, vor allem aber sei das Streikrecht ein in der Verfassung geregeltes Recht. Würden diese beiden Punkte bereinigt, könnte ein allgemeinverbindlicher Tarif ausgearbeitet werden, so Schreiner. „Die Kirchen liefern aber nicht, weil sie auf das Bundesarbeitsgericht Erfurt schauen, das demnächst ein Urteil über das Streikrecht bei den Kirchen fällen wird.“ Folge des Verzichts auf das Streikrecht sei „Kollektives Betteln“. Klären müsste man auch, ob es gesonderte Regelungen für Pflege, Beschäftigung im Krankenhaus und Kinderbetreuung geben soll oder einen gemeinsamen Tarif. „Kernmotiv muss die Aufwertung der sozialen Tätigkeiten sein, denn ohne die engagierte Arbeit dieser Leute wäre unsere Gesellschaft nicht nur ärmer, sondern vor allem inhuman.“ Für Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorsitzenden des Diakonischen Werks Württemberg, der über 2.000 Einrichtungen und Dienste mit über 40.000 hauptamtlich und fast ebensoviel ehrenamtlich Beschäftigten vertritt, kostet der Streit um den „dritten Weg“ viel Energien, die man besser anderweitig einsetzen könnte und würde gerne gemeinsam eine Lösung für einen bundesweiten Tarif finden. Aber er möchte weiterhin am dritten Weg festhalten, weil laut einer Umfrage 93% der Belegschaften nach Tarifen entlohnt würden, die dem TVöD nahezu entsprechen. Der Internationale Bund für Sozialarbeit habe Tarife 20% unter den billigen Löhnen in Deutschland. Wenn Caritas und Diakonie sich bundesweit auf einen Tarif verständigten und ver.di dies bundesweit vertreten würde, müsse weder der dritte Weg aufgegeben werden, noch die Identität der Gewerkschaft, auf deren Hilfe auch er hofft. Auch Inge Mayer, Mitglied der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas, die mit 900 Organisationseinheiten und rund 550.000 Mitarbeitern und etwa eben so vielen ehrenamtlichen bzw. freiwilligen Helfern der größte private Arbeitgeberin ist, steht zum dritten Weg. Die paritätische Beteiligung der Caritas in Deutschland werde auf der Bundesebene und in 6 Regionalebenen aus Gremien mit Vertretern von Dienstgebern und Mitarbeitern garantiert. Wesentliche Punkte müssten immer mit 2/3 Mehrheit entschieden werden; einige man sich nicht, gebe es Schlichtungsverfahren. Der Tarif sei angepasst an den des öffentlichen Dienstes, den TVöD Bund. Die Caritas habe die höchsten Kostensätze für die Pflege, weil sie ihre Mitarbeiter am besten bezahle. Sie meint, der dritte Weg werde zu Unrecht schlecht dargestellt, weil er sich nicht durch Macht und Stärke auszeichne, sondern durch transparenten Dialog und Konsens. Pfarrer Paul Schobel, Mitglied des Sprecherkreises Christen und SPD und ehemaliger Leiter der Betriebsseelsorge in der Diözese Rottenburg, fordert die Politik, um dem Wettbewerb in der Sozialbranche etwas entgegen zu setzen: „Es ist ein einheitlicher Sozialtarif notwendig, um die Privaten mit ins Boot zu holen.“ Der stellvertretende ver.di- Landesbezirksleiter Günter Busch machte deutlich, dass das Ziel des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in den 1920er Jahren die Trennung von Staat und Kirche gewesen sei. Damals habe das Streikrecht gegolten, erst in den 1950er Jahren sei die Selbstbestimmung der Kirchen im Grundgesetz festgelegt worden. Er vermutet, dass das Bundesarbeitsgericht ein Streikrecht für kirchliche Mitarbeiter nicht ausschließen wird und wünscht sich eine Vereinbarung mit kirchengerechten Tarifen. Ver.di möchte zunächst gute Löhne erstreiten, dann auf die Politik zugehen, damit diese refinanziert werden können. Aber: „Um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, muss aufgehört werden, die gewerkschaftliche Lösung zu verteufeln und den dritten Weg heilig zu sprechen.“ Pfarrer Hermann Wilhelm, der lange Jahre ehrenamtlich in der Gewerkschaft tätig war, hält die Kirchen für „Trittbrettfahrer“, weil sie die Tarife der Gewerkschaften übernehmen, aber den Mitarbeitern das Grundrecht verweigern, an der Tarifbildung mitzuwirken. Eine theologische Begründung für den dritten Weg habe er bisher nicht gehört oder gefunden. Ottmar Schreiner machte in seinem Schlusswort noch einmal klar, dass nicht verlangt werden könne, dass im Parlament niemand verlangt habe, dass die Kirchen dem dritten Weg abschwören. Er frage sich jedoch, warum sich die Kirchen nicht an den Tarifgesprächen für einen einheitlichen Tarif beteiligen. „Früher wurde der BAT doch auch einfach übernommen – warum sollte das heute nicht klappen?“ Gemeinsames Ziel sei die Aufwertung der sozialen Arbeit. Man müsste den Willen aufbringen für Mitgestaltung und Tarifgemeinschaft. Stephan Fischer

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