Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Anstöße und Materialien für eine zukunftsfähige sozialdemokratische Sozialpolitik

Unser Gesprächskreis hat in einem Grundsatzpapier Anstöße für eine zukunftsfähige Sozialpolitik der SPD erarbeitet und u.a. mit Sozialministerin Katrin Altpeter, mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten und mit dem württembergischen evangelischen Bischof Frank Otfried July diskutiert. Nachstehend finden Sie eine Kurzfassung in Thesenform und hier das Gesamtpapier als pdf-Datei. 10 „salzige“ Thesen, damit wir - die Gesellschaft, die SPD - nicht bald eine gesalzene Rechnung zu bezahlen haben Vorbemerkung Warum als Christen? Weil uns der biblische Gerechtigkeits- und Barmherzigkeitsbegriff Orientierung gibt. Warum als SPDler? Weil nur die SPD „Gerechtigkeit kann“, dies aber die Bürger/innen nicht mehr merken. Wer steckt dahinter? Erfahrene Sozialpolitiker/ Kenner/ jahrzehntelange Täter.
  • Unser Papier stellt Grundfragen und äußert sich beispielhaft zur praktischen Politik.
  • Wenn wir als Christen von Barmherzigkeit reden, sprechen wir als SPDler von gelebter, erlebter Solidarität über Jahrzehnte hinweg.
1. These: Wir, die SPD, beschäftigen uns noch zu sehr mit den „alten“ Sozialfragen Rentenfrage, Mindestlohn, die Finanzierung des Gesundheitswesens sind wichtige Themen. Aber: Wenn die SPD nicht noch umfassender die Zukunft der Sozialpolitik anpackt, springt sie viel zu kurz. Mit dem Zukunftsprojekt Deutschland 2020: „Wie wollen wir morgen leben“ hat sich die SPD auf den Weg gemacht, aber ohne öffentliche Resonanz. 2. These: Wir brauchen eine neue Sozialarchitektur, aber die SPD setzt weiterhin (nur) auf Wohlfahrt durch Wachstum Die SPD hat wesentlich dazu beigetragen, das deutsche, weltweit einzigartige, Sicherungssystem aufzubauen. Dies ist ein „Großsystem“, das vorwiegend auf finanzielle Transferleistungen aufbaut. Da dieses Sicherungssystem an seine Grenzen kam, wurde diese Säule unseres Sozialstaates mit einer weiteren Säule, der privaten Vorsorge (z. B. Riesterrente) ergänzt. Nun sind wir wieder am Rande eines Sozialkollaps (Altersarmut, Schere: Arm-Reich, Überlastung Pflegepersonal etc.) Das jetzige Sozialsystem ist auf Wirtschaftswachstum aufgebaut. Ohne Wachstum keine Wohlfahrt. Das jetzige Sozialsystem kann nicht einfach fortgeschrieben werden.
„Wenn wir uns von dem verhängnisvollen Wachstumszwang befreien wollen, müssen wir die sozialpolitische Strategie grundlegend ändern“
(Grundwertekommission 2010) 3. These: Willy Brandt: Ohne Barmherzigkeit/Compassion kein zukunftsfähiger Sozialstaat (Parteitag 1972) Zum „Finanzsozialstaat“, der alles im „Großen“ organisiert, muss wieder der "Mitmenschstaat" aufgebaut werden. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gehören zusammen und müssen aktiv aktiviert werden:
„Liebe Freunde….habt doch den Mut zu dieser Art Mitleid! Habt den Mut zur Barmherzigkeit! Habt den Mut zum Nächsten…“
Daraus ergibt sich eine 3. Säule des Sozialstaat: die Zivilgesellschaft (mehr als Bürgerengagement) 4. These: Unser Fokus liegt immer noch vorrangig auf soziale Gerechtigkeit durch finanzielle Transferleistungen Gerechtigkeit ist mehr als finanzielle Absicherung, sie hat die Aufgabe, Benachteiligte in eine Ausgangsposition zu bringen, die es ihnen ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Teilhabe: Konzentration auf Verlierer, im Kindesalter werden entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Hier muss unser Augenmerk liegen. Vorbeugende Sozialarbeit verhindert abgehängt werden. 5. These: Wir sind herausgefordert: Vergemeinschaftung zu organisieren, damit Barmherzigkeit/Compassion erlebt und gelebt werden kann. Deshalb muss das 3. Standbein des Sozialstaats organisiert und finanziert werden. Bis jetzt ist (auch in Deutschland 2020) Bürgerengagement eine, zwar wichtige Ergänzung, aber kein Grundkonzept für einen zukunftsfähigen Sozialstaat. Wir müssen soziale Verbundenheit schaffen und alle Menschen mit einbeziehen.
Gelebte Demokratie und gelebtes Sozialstaatsprinzip erfordern eine bessere Organisation des Miteinanders… dies muss von den politisch Verantwortlichen geschaffen werden
(Deutschland 2020) 6. These: „Mitleiden“ erlebbar machen, braucht Kostenträger für den Nahraum Im Quartier soziale Verbundenheit zu schaffen, Nachbarschaftsarbeit zu organisieren, neue soziale Konvois anzustoßen braucht professionelles Management und Strukturen, dies kostet Geld. Die Kostenträger müssen einbezogen werden. 7. These: Wir müssen die Finanzierungssystematik umbauen, auch gegen Widerstände und Besitzstandswahrung Sozialpolitik wirkt im kommunalen Sozialraum am effektivsten. Die Geldströme müssen überdacht und wo möglich umgelenkt werden. Gemeindeordnungen müssen ergänzt werden. (Ivo Gönner) (Deutschland 2020: Die Kommune – Ort sozialer Gesellschaft und lebendiger Demokratie) 8. These: Wir müssen Zivilgesellschaft zu einer eigenständigen tragenden Säule des Sozialstaates machen Beides ist unverzichtbar: Professionelle Sozialarbeit und zivilgesellschaftliches „Sozialleben“. Aber wir müssen das Miteinander von Profis und Bürgern auf eine neue partnerschaftliche Basis stellen. Wir buttern weiterhin Millionen - meist in Form von Projekten - in das „Profi-System“. Für Strukturen des Bürgerengagements gibt’s meist nichts. 9. These: Beinfreiheit nicht nur für Peer - eine besonders harte Nuss Bürgerengagement und Bürgerverantwortung braucht Freiraum. Die – gut gemeinte - Verregelung sozialer Arbeit ist Gift für die zivilgesellschaftliche soziale Sicherung. Bürgerengagement braucht Vertrauen und Beinfreiheit. 10. These: Wenn wir – SPD und Gesellschaft - nicht jetzt umsteuern, bekommen wir eine gesalzene Rechnung präsentiert So wie alle überzeugt sind, dass wir eine Ökowende brauchen, so brauchen wir eine Sozialwende. Der Schwerpunkt der SPD-Politik muss in den nächsten Jahren auf der Strukturpolitik liegen. Die SPD sollte die Chance nicht vertun, hier an der Spitze der Bewegung zu stehen, bzw. diese selbst anzustoßen. Als Christen/innen und Sozialdemokraten/innen möchten wir, gemäß dem Motto aus der Bergpredigt „Seid Salz der Erde“ mit diesen Anstößen einen ‚würzenden Beitrag‘ leisten, um eine gesalzene Rechnung zu vermeiden. 22.10.2012 Gesprächskreis Christen/innen und SPD, Baden-Württemberg Sprecher des Gesprächskreises Otto Haug
 

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